Derzeit funktionieren große Online-Plattformen folgendermaßen: Es gibt einen zentralen Akteur, also große Unternehmen wie Facebook, Google oder Amazon. Nutzerinnen und Nutzer sowie kleinere Unternehmen, die auf diesen Plattformen Werbung schalten, sind von diesem zentralen Akteur in gewisser Weise abhängig - auch wenn die großen Plattform-Betreibenden an Regeln gebunden sind, wie die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).
"Eine Art Facebook ohne Facebook"
In dem Horizon-2020-Projekt HELIOS arbeiten Forscherinnen und Forscher europaweit an einer Lösung, soziale Netzwerke grundlegend anders aufzustellen: "Wir entwickeln eine Plattform ohne zentrale Instanz, eine Art Facebook ohne Facebook", erklärt Prof.Dr. Meinhard Schröder, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Informationstechnologierecht an der Universität Passau. "Digitalisierung hängt bislang immer an zentralen Akteurinnen und Akteuren", sagt Projektmitarbeiterin Carolina Goberna Caride. "Es ist jetzt an der Zeit, dezentrale Möglichkeiten ernst zu nehmen und anzuwenden."
Maximales Nutzungserlebnis kombiniert mit maximaler Kontrolle über die Daten
Die Forscherinnen und Forscher entwickeln eine Struktur für ein soziales Netzwerk, das die "Dynamik der menschlichen Beziehungen in drei Dimensionen" abbildet - mit Blick auf Kontext, Raum und Zeit. Das soziale Netzwerk soll sich an die Bedürfnisse anpassen, die die Nutzerinnen und Nutzer in verschiedensten Situationen und Umgebungen haben - sei es im Alltag, im Beruf oder im Hobby. Es soll der Nutzerin oder dem Nutzer im beruflichen Zusammenhang andere Vorschläge machen als im Privaten. Es soll auch lernen, wie sich Beziehungen im Laufe der Zeit verändern.
Die Nutzerinnen und Nutzer werden hier allerdings nicht von einer zentralen Instanz überwacht. "Vielmehr sollen sie stets die maximale Kontrolle über ihre eigenen Daten haben", erklärt Prof. Dr. Schröder. Dass rechtliche Fragen im Bereich Datenschutz, Privatsphäre und Urheberrecht von Beginn an mitgedacht werden, dafür ist das Passauer Team zuständig. Es begleitet alle juristischen Aspekte des Projekts. Dazu zählt beispielsweise auch die Frage, wie sich das in der DSGVO vorgesehene Recht auf Vergessenwerden mit der Blockchain-Technologie verträgt.
Letztere ist eine der Technologien, deren Einsatz die Forscherinnen und Forscher testen. Technisch setzt das Projekt insbesondere auf Peer-to-Peer-Anwendungen. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, auf der das frühe Internet basierte. Es bezeichnet Rechner-Netze, bei denen mehrere Geräte miteinander verbunden sind. Inzwischen wäre auch eine Anbindung an das Internet-of-Things denkbar.
Das Technische Forschungszentrum Finnland VTT mit Sitz in Espoo koordiniert das Projekt. Es handelt sich dabei um die größte Organisation für Auftragsforschung in Nordeuropa. Neben der Universität Passau sind folgende wissenschaftliche Einrichtungen beteiligt:
- Centre for Research and Technology Hellas (Griechenland)
- LINKS Foundation (Italien)
- Trinity College Dublin (Irland)
- Università di Pisa (Italien)
- Universitat Autònoma de Barcelona (Spanien)
- Universitat Politècnica de València (Spanien)
- University of Helsinki (Finnland)
Als Partner aus der Praxis arbeiten Atos Spain (Spanien), Grassroots Arts and Research UG (Deutschland), Nagoon (Schweden), Swiss TXT AG (Schweiz), Worldline Iberia SA (Spanien) und Escola Massana (Spanien) an dem Projekt mit.
Für dieses Projekt wurden im Rahmen der Finanzhilfevereinbarung Nr. 825585 Fördermittel aus dem Programm der Europäischen Union für Forschung und Innovation "Horizont 2020" bereitgestellt.