Thema der Tagung
Beyond Mediation - Neue Formen der Alternativen Streitbeilegung
Spätestens seit der Mediationsrichtlinie aus dem Jahr 2008 und ihrer Umsetzung im deutschen Mediationsgesetz sowie aktuell infolge der ADR-Richtlinie und ihrer Umsetzung im deutschen Verbraucherstreitbeilegungsgesetz ist die Alternative Streitbeilegung ein etabliertes Forschungsfeld insbesondere der Zivilverfahrensrechtswissenschaft. Die Forschung konzentriert sich aber meist auf die etablierten Verfahren: Die Mediation, bei welcher ein neutraler und allparteilicher Dritter die Streitparteien lediglich bei ihrer eigenen Lösungsfindung unterstützt, indem er einen kommunikativen Rahmen für deren Verhandlungen schafft und sichert, aber nach traditionellem Verständnis keine eigenen inhaltlichen Vorschläge zur Streitbeilegung macht. Ferner die Schlichtung, bei welcher der neutrale Dritte auch inhaltliche Vorschläge für eine Einigung der Parteien macht, die diese annehmen oder ablehnen können. Und schließlich das Schiedsverfahren, das letztlich ein streitiges Streitentscheidungsverfahren wie vor den staatlichen Gerichten ist, mit der wesentlichen Abweichung, dass die Parteien den oder die Schiedsrichter selbst benennen und das Verfahren privatautonom ausgestalten können. Während das letztgenannte Verfahren grundsätzlich rechtsbasiert ist, d.h. auf eine autoritative Streitentscheidung anhand von Recht und Gesetz ausgerichtet ist, sind die beiden erstgenannten Verfahren konsensual, zielen also lediglich auf die Vermittlung einer privatautonomen Einigung der Streitparteien ab, ohne das Ergebnis aus dem Recht abzuleiten und es den Streitenden aufzuoktroyieren.
Zunehmend werden die persönlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Vorteile konsensualer Streitbeilegung auch außerhalb der angestammten Gebiete des Familien- und Nachbarrechts, wo Mediation und Schlichtung ihren Ausgang genommen haben, erkannt. Das betrifft nicht nur das – allerdings besonders gelagerte – Verbraucherrecht, wo das VSBG eine neue Form des Verbraucherschutzes außerhalb gerichtlicher Rechtsdurchsetzungsverfahren erstrebt, sondern auch im klassischen Wirtschaftsrecht, das lange Zeit als feste Domäne der Streitentscheidung nach Recht und Gesetz durch staatliche Gerichte oder Schiedsgerichte galt. Auch hier bricht sich die Erkenntnis mehr und mehr Bahn, dass wertvolle Beziehungen zu Kunden und Lieferanten im Konfliktfall durch konsensuale Streitbeilegung erhalten und evtl. sogar vertieft werden können, während sie bei gerichtlicher Entscheidung meistens nachhaltig zerrüttet sind, was nachteilige wirtschaftliche Folgen zeitigt.
So aktuell die konsensuale Streitbeilegung ist, so unklar ist ihre rechtliche und praktische Bewertung. Zwar ist inzwischen ein – rudimentärer – rechtlicher Rahmen für die Mediation geschaffen worden, was auch mit erheblicher Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet einhergeht. Die Praxis hat aber zahlreiche weitere Verfahrensarten entwickelt, die sich nicht klar den etablierten Kategorien „Mediation“, „Schlichtung“ und „Schiedsverfahren“ zuordnen lassen und viele neuartige Fragen aufwerfen. Hierzu zählen das Mediation-Arbitration-Verfahren (MedArb), ein Hybridverfahren aus Mediation und Schiedsverfahren, ferner die Co-Mediation unter Einsatz von zwei (oder mehr) Mediatoren, typischerweise verschiedenen Geschlechts, sowie die cooperative Praxis (CP – auch collaborative practice genannt), bei welcher der neutrale Mediator durch miteinander kooperierende Parteivertreter ersetzt wird, deren Aufgabe darin besteht, einen sicheren Verhandlungsrahmen zu gewährleisten; ggf. werden auch fachliche Experten zum Verfahren hinzugezogen. Und schließlich setzt sich auch in Unternehmen immer mehr die Erkenntnis durch, dass ein professioneller Umgang mit innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Konflikten, also die Einrichtung einer betrieblichen Konfliktkultur, letztlich ökonomisch vorteilhaft ist, um Konflikteskalationen, die eine Intervention Dritter bis hin zu staatlichen oder Schiedsgerichten erforderlich machen, bereits im Vorfeld zu vermeiden.
Im Rahmen der Fachtagung "Beyond Mediation" werden solche neuartigen Streitbeilegungsverfahren aus wissenschaftlicher wie aus praktischer Sicht vorgestellt und rechtliche und wirtschaftliche Fragen aufgeworfen. Erfahrene Mediatoren, Schiedsrichter und Business-Coaches berichten aus ihrer Praxis mit hybriden Verfahren und präsentieren Einsatzszenarien, die in Diskussionen vertieft untersucht werden können. Den Abschluss der Tagung bildet eine Podiumsdiskussion über die wirtschaftlichen Aspekte alternativer Streitbeilegung: Viele Anwälte fürchten um ihr Gebührenaufkommen, wenn weniger vor Gericht gestritten wird. Hier soll konkret über Honorarmodelle und vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten gesprochen werden, die rechtliche Berater und Streitmittler angemessen an der durch die konsensuale Konfliktlösung geschaffenen Wertschöpfung der Parteien beteiligen und auch insoweit zu Win-Win-Situationen führen.