Exkurs 6
Exkurs 6: Preußisches Allgemeines Landrecht
Quellentext
nach: H. Hattenhauer (Hrsg.), Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, mit einer Einführung von H. Hattenhauer und einer Bibliographie von G. Bernert, Neuwied u.a. 1994.
EINLEITUNG
I. Von den Gesetzen überhaupt.
§. 6. Auf Meinungen der Rechtslehrer, oder ältere Aussprüche der Richter, soll, bey kunftigen Entscheidungen, keine Rücksicht genommen werden.
§.14. Neue Gesetze können auf schon vorhin vorgefallene Handlungen und Begebenheiten nicht angewendet werden.
§.15. Die von Seiten des Gesetzgebers nöthig befundene und gehörig publizirte Erklarung eines alten Gesetzes aber giebt, in allen noch zu entscheidenden Rechtsfallen, den Ausschlag.
Auslegung der Gesetze.
§. 45. Bey Entscheidungen streitiger Rechtsfälle darf der Richter den Gesetzen keinen andern Sinn beylegen, als welcher aus den Worten, und dem Zusammenhange derselben, in Beziehung auf den streitigen Gegenstand, oder aus dem nächsten unzweifelhaften Grunde des Gesetzes, deutlich erhellet.
§. 47. Findet der Richter den eigentlichen Sinn des Gesetzes zweifelhaft, so muß er, ohne die prozeßführenden Parteyen zu benennen, seine Zweifel der Gesetzcommißion anzeigen, und auf deren Beurtheilung antragen.
§. 49. Findet der Richter kein Gesetz, welches zur Entscheidung des streitigen Falles dienen könnte, so muß er zwar nach den in dem Gesetzbuche angenommenen allgemeinen Grundsätzen, und nach den wegen ähnlicher Fälle vorhandnen Verordnungen, Seiner besten Einsicht gemäß, erkennen.
II. Allgemeine Grundsätze des Rechts.
§. 73. Ein jedes Mitglied des Staats ist, das Wohl und die Sicherheit des gemeinen Wesens, nach dem Verhältniß seines Standes und Vermögens, zu unterstützen verpflichtet.
§. 74. Einzelne Rechte und Vortheile der Mitglieder des Staats müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen beyden ein wirklicher Widerspruch (Collision) eintritt, nachstehn.
§. 75. Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besondern Rechte und Vortheile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfem genöthigt wird, zu entschädigen gehalten.
§. 76. Jeder Einwohner des Staats ist den Schutz desselben für seine Person und sein Vermögen zu fordern berechtigt.
§ 82. Die Rechte des Menschen enstehn durch seine Geburt, durch seinen Stand, und durch Handlungen oder Begebenheiten, mit welchen die Gesetze eine bestimmte Wirkung verbunden haben.
§ 83. Die allgemeinen Rechte des Menschen gründen sich auf die natürliche Freyheit, sein eigenes Wohl, ohne Kränkung der Rechte eines Andern, suchen und befördern zu können.
§ 84. Die besonderen Rechte und Pflichten der Mitglieder des Staates beruhen auf dem persönlichen Verhältnisse, in welchem ein jeder gegen den anderen, und gegen den Staat selbst, sich befindet.
ERSTER THEIL
Erster Titel. Von Personen und deren Rechten überhaupt
der Person
§.1. Der Mensch wird, in so fern er gewisse Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft genießt, eine Person genannt.
der Mißgeburten
§.17. Geburten ohne menschliche Form und Bildung haben auf Familien- und bürgerliche Rechte keinen Anspruch.
§.18. In so fern aber dergleichen Mißgeburten leben, müssen sie, nach §. 11., ernährt, und so viel als möglich erhalten werden.
der Zwitter.
§. 19. Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Aeltern, zu welchem Geschlechte sie erzogen werden sollen.
§. 20. Jedoch steht einem solchen Menschen, nach zurückgelegtem achtzehnten Jahre, die Wahl frey, zu welchem Geschlecht er sich halten wolle.
Pertinenzstücke eines Landguts.
§. 48. Als Pertinenzstücke eines Landguts werden in der Regel alle darauf befindliche Sachen angesehen, welche zum Betrieb des Ackerbaues und der Viehzucht gebraucht werden.
§. 49. Auch Vorräthe von Gutserzeugnissen, welche erforderlich sind, um die Wirtschaft so lange fortzusetzen, bis dergleichen Erzeugnisse aus dem Gute selbst, nach dem gewöhnlichen Laufe der Natur wieder genommen werden können, werden zum Zubehör desselben gerechnet.
§. 50. Auch das Feldinventarium, an Düngung, Pflugarten, und Aussaat, gehört zu den Pertinenzstücken eines Landguts.
§. 51. Desgleichen aller Vorrath an natürlicher und künstlicher Düngung.
§. 52. Alles auf dem Gute befindliche, zu dessen Bewirthschaftung bestimmte Zug- und Lastvieh, ingleichen alles vorhandne nutzbare Vieh, nebst den zu beyden gehörigen Geräthschaften, sind Pertinenzstücke dieses Landguts.
§. 53. An jungem Vieh wird so viel zum Zubehör des Guts gerechnet, als zur Unterhaltung des Bestandes erforderlich ist.
§. 54. Vieh, welches bloß zum Verkauf oder Hausgebrauch auf die Mast gestellt worden, ist kein Pertinenzstück eines Landguts.
§. 55. Die in den Teichen zur Besaamung oder zum Wachsthum ausgesetzten Fische werden als Zubehör des Teiches angesehn.
§. 56. Dagegen werden Fische in den Behältern dazu nicht gerechnet.
§. 57. Ueberhaupt sind Thiere, welche bloß zum Haus- oder persönlichen Gebrauch, oder zum Vergnügen des Besitzers, gehalten werden, unter den Pertinenzstücken eines Landgutes nicht mit begriffen.
§. 58. Gemeine Hüner, Gänse, Enten, Tauben und Truthüner, werden zu den Pertinenzstücken eines Landguts gerechnet.
§. 59. Seltne Arten von Federvieh gehören nur in so weit zu den Pertinenzstücken als nicht gemeine Arten derselben Gattung in einer verhältnißmäßigen Anzahl vorhanden sind.
einer Bibliothek und eines Naturalienkabinets.
§. 96. Zu einer Bibliothek werden auch die Repositorien und Schränke gerechnet, in welchen die Bücher sich befinden.
§. 97. Auch zu Naturalien und Kunstsammlungen gehören die zu deren Aufstellung gewidmeten Behältnisse.
§. 98. Bildsäulen und andre Sachen, die außer den Behältnissen bloß zur Auszierung des Zimmers bestimmt waren, sind keine Pertinenzstücke der Bibliothek, oder des Naturalienkabinets.
§. 99. Dagegen werden Erd- und Himmelskugeln, Landkarten, Zeichnungen und Kupferstiche, sie mögen gebunden oder ungebunden seyn, zur Bibliothek gerechnet.
§.100. Kupferstiche hingegen, die in Rahmen gefaßt sind, gehören nicht zur Bibliothek.
Persönliche Rechte.
§.122. Persönliche Rechte und Verbindlichkeiten heißen diejenigen, wozu nur gewisse Personen, ohne Rücksicht auf den Besitz einer Sache, befugt, oder verpflichtet sind.
§. 123. Ein persönliches Recht enthält die Befugniß, von dem Verpflichteten zu fordern, daß er etwas geben, leisten, verstatten, oder unterlassen solle.
§.124. In so fern dergleichen persönliches Recht das Geben, oder die Gewährung einer bestimmten Sache, zum Gegenstande hat, wird es ein Recht zur Sache genannt.
Dingliche Rechte.
§.125. Ein Recht ist dinglich, wenn die Befugniß zur Ausübung desselben mit einer Sache, ohne Rücksicht auf eine gewisse Person, verbunden ist.
§ 126. Auch solche Rechte heißen dinglich, deren Gegenstand eine Sache ist, ohne Rücksicht auf die Person, bey welcher diese Sache sich befindet.
§.127. Dergleichen Rechte, die ihrem Gegenstande nach dinglich sind, heißen Rechte auf die Sache.
§.131. Die Handlung oder Begebenheit, wodurch jemand ein Recht auf eine Sache erlangt, heißt die Erwerbungsart.
§. 132. Der gesetzliche Grund, vermöge dessen diese Handlung oder Begebenheit die Kraft hat, daß dadurch das Recht erworben werden kann, wird der Titel genannt.
§.133. Die Erwerbung eines Rechts auf fremde Sachen setzt bey dem Erwerbenden ein vorhergehendes Recht zur Sache voraus.
§. 134. Dieses persönliche Recht, aus welchem durch die hinzukommende Erwerbungsart ein Recht auf die Sache entsteht, heißt der Titel dieses dinglichen Rechts.
Vierter Titel
§. 4. Die Willenserklärung muß frey, ernstlich, und gewiß, oder zuverläßig seyn.
Auslegung der Willenserklärungen.
§. 65. Der Sinn jeder ausdrücklichen Willenserklärung muß nach der gewöhnlichen Bedeutung der Worte und Zeichen verstanden werden.
§. 66. Die gewöhnliche Bedeutung ist nach der Zeit, wenn die Erklärung abgegeben worden, zu beurtheilen.
§. 67. Ist der Sprachgebrauch nach Beschaffenheit der Person verschieden, so muß auf die Person des erklärenden gesehen werden.
§. 68. Hat jemand seinen Willen durch einen Andern erklärt, so kommt es auf den Sprachgebrauch des Letztern an, in so fern derselbe nicht solcher Ausdrücke, die von dem Machtgeber bestimmt vorgeschrieben worden, sich bedient hat.
§. 69. Sind, nach Beschaffenheit des Gegenstandes, besondre Ausdrücke oder Redensarten im Gebrauch so muß der Sinn der Willensäußerung, diesem Gebrauch gemäß, erklärt werden.
§. 70. Ist in der Erklärung die Absicht deutlich ausgedrückt, so sind zweifelhafte Stellen dieser Absicht gemäß auszulegen.
§. 71. Hat der Erklärende seinen Willen bey andrer Gelegenheit deutlich geäußert, so muß das Dunkle einer streitigen Erklärung dieser deutlichen Aeußerung gemäß verstanden werden.
§. 72. Ausgenommen ist der Fall, wo die Absicht, eine frühere Willenserklärung durch eine spätere zu ändern, deutlich erhellet.
§. 73. Unbestimmte Willensäußerungen sind nach den in den Gesetzen enthaltenen Bestimmungen zu erklären.
§. 74. Doch ist jede Willensäußerung im zweifelhaften Falle so zu deuten, daß sie nicht ohne alle Wirkung bleibe.
Irrthum.
§. 75. Irrthum in dem Wesentlichen des Geschäfts oder in dem Hauptgegenstande der Willenserklärung macht dieselbe ungültig.
§. 76. Ein Gleiches gilt von einem Irrthum in der Person desjenigen, für welchen aus der Willenserklärung ein Recht entstehen soll, so bald aus den Umständen erhellet, daß ohne diesen Irrthum die Erklärung solchergestalt nicht erfolgt seyn würde.
§. 77. Auch Irrthum in ausdrücklich vorausgesetzten Eigenschaften der Person oder Sache vereitelt die Willenserklärung.
Bewegungsgrund.
§. 145. Wird bey einer Erklärung eine gewisse Begebenheit oder Thatsache, als eine solche, die entweder schon geschehen ist, oder noch geschehen soll, bloß vorausgesetzt, so ist sie nur als ein Bewegungsgrund anzusehen.
§.146. Der angeführte Bewegungsgrund dient hauptsächlich nur zur Erklärung einer zweifelhaften Absicht.
§.147. Ist also die Absicht klar, so wird durch die Unrichtigkeit des angeführten Bewegungsgrundes die Willenserklärung selbst noch nicht entkräftet.
§. 148. Hat der Erklärende den falschen Bewegungsgrund aus Irrthum für richtig angenommen, so kann der, welcher diesen Irrthum vorsetzlich veranlaßt hat, daraus keinen Vortheil ziehen.
Achter Titel. Vom Eigenthum
Begriff
§.1. Eigenthümer heißt derjenige, welcher befugt ist, über die Substanz einer Sache, oder eines Rechts mit Ausschließung Andrer, aus eigner Macht, durch sich selbst, oder durch einen Dritten, zu verfügen.
Gegenstand des Eigenthums.
§. 2. Alles, was einen ausschließenden Nutzen gewähren kann, ist ein Gegenstand des Eigenthums.
§. 9. Zum vollen Eigenthume gehört das Recht, die Sache zu besitzen, zu gebrauchen, und sich derselben zu begeben.
§.10. Das Recht, über die Substanz der Sache zu verfügen, wird Proprietät genannt.
§. 11. Das Recht, eine Sache zu seinem Vortheil zu gebrauchen, heißt das Nutzungsrecht.
§. 25. Einschränkungen des Eigenthums müssen also durch Natur, Gesetze, oder Willenserklärungen bestimmt seyn.
§. 26. Jeder Gebrauch des Eigenthums ist daher erlaubt und rechtmäßig, durch welchen weder wohlerworbne Rechte eines Andern gekränkt, noch die in den Gesetzen des Staats vorgeschriebnen Schranken überschritten werden.
§. 29. Der Staat kann das Privateigenthum seiner Bürger nur alsdann einschränken, wenn dadurch ein erheblicher Schade von Andern oder von dem Staate selbst abgewendet, oder ihnen ein beträchtlicher Vortheil verschafft werden, beydes aber ohne allen Nachtheil des Eigenthümers geschehen kann.
§. 31. Doch muß in diesem letztern Falle der Staat zugleich dafür sorgen, daß der einzuschränkende Eigenthümer für den dadurch erleidenden Verlust vollständig schadlos gehalten werde.
§. 32. In allen Fällen aber können Einschränkungen des Eigenthums, welche nicht aus besondern wohl erworbnen Rechten eines Andern entspringen, nur durch Gesetze begründet werden.
ZWEITER THEIL
Erster Titel, Vierter Abschnitt. Von den Rechten und Pflichten der Eheleute, in Beziehung auf ihre Personen
Gemeinschaftliche Rechte und Pflichten der Eheleute.
§. 173. Die Rechte und Pflichten der Eheleute nehmen sogleich nach vollzogener Trauung ihren Anfang.
§. 174. Eheleute sind schuldig, sich in allen Vorfallenheiten nach ihren Kräften wechselseitigen Beystand zu leisten.
§. 175. Sie müssen vereint mit einander leben, und dürfen ihre Verbindung eigenmächtig nicht aufheben.
§. 176. Auch wegen Widerwärtigkeiten dürfen sie einander nicht verlassen.
Rechte und Pflichten des Mannes.
§. 184. Der Mann ist das Haupt der ehelichen Gesellschaft; und sein Entschluß gibt in gemeinschaftlichen Angelegenheiten den Ausschlag.
§.185. Er ist verbunden, seiner Frau standesmäßigen Unterhalt zu gewähren.
§. 186. Mit dem nothdürftigen Unterhalte muß sie sich begnügen, wenn ihr der Mann den standesmäßigen nicht verschaffen kann.
Zweyter Titel, Zweyter Abschnitt
Von den wechselseitigen Rechten und Pflichten der Aeltern und Kinder
1) wegen der Verpflegung
§. 66. Körperliche Pflege und Wartung, so lange die Kinder deren bedürfen, muß die Mutter selbst, oder unter ihrer Aufsicht besorgen.
§. 67. Eine gesunde Mutter ist ihr Kind selbst zu säugen verpflichtet.
§. 68. Wie lange sie aber dem Kinde die Brust reichen solle, hängt von der Bestimmung des Vaters ab.
Zweyter Titel, Neunter Abschnitt
Rechte des Standes und der Familie.
§. 639. Uneheliche Kinder treten weder in die Familie des Vaters, noch der Mutter.
§. 644. Uneheliche Kinder stehen nicht unter der Gewalt des Vaters, sondern nur unter der vom Staate für sie verordneten Vormundschaft.
§. 645 Die persönlichen Rechte der Aeltern über sie erstrecken sich nicht weiter, als es der Zweck der Erziehung erfordert.
§. 651. Außerdem haben uneheliche Kinder, wenn der Vater Abkömmlinge aus einer Ehe zur rechten oder zur linken Hand hinterläßt, in seinem Nachlasse gar kein gesetzliches Erbrecht.
Siebenter Titel, Erster Abschnitt. Vom Bauerstande überhaupt
Wer Bauer sey.
§. 1. Unter dem Bauerstande sind alle Bewohner des platten Landes begriffen, welche sich mit dem unmittelbaren Betriebe des Ackerbaues und der Landwirthschaft beschäftigen; in so fern sie nicht durch adliche Geburt, Amt, oder besondre Rechte, von diesem Stande ausgenommen sind.
§. 2. Wer zum Bauerstande gehört, darf, ohne Erlaubniß des Staats, weder selbst ein bürgerliches Gewerbe treiben, noch seine Kinder dazu widmen. (§. 173.)
§. 9. Er kann also dazu von dem Staate auch durch Zwangsmittel genöthigt, und bey beharrlicher Vernachläßigung, sein Grundstück an einen Andern zu überlassen angehalten werden.
§. 10. Veränderungen und Verbesserungen in der Cultur stehen einem jeden so weit frey, als dadurch das Recht eines Dritten nicht gekränkt wird.
§. 11. Sobald es eine dringende Nothdurft des Staats erfordert, kann auch der Landmann angehalten werden, den Ueberschuß seiner Erzeugnisse zum Verkauf auszubieten. (Th. I. Tit. XI. §. 7.)
§.12. Keinem Bauer ist es erlaubt, seine Früchte auf dem Halme zu verkaufen.
§. 13. Der Bauerstand ist dem Staate zu Hand- und Spanndiensten besonders verpflichtet.
§.14. Die Anzahl der bäuerlichen Besitzungen auf dem Lande soll weder durch Einziehung der Stellen, und der dazu gehörigen Realitäten, noch durch das Zusammenschlagen derselben vermindert werden.
§.15. Vielmehr sind die Gutsherrschaften, für die gehörige Besetzung der vorhandenen beackerten Stellen und Nahrungen in den Dörfern, bey eigner Vertretung zu sorgen schuldig.
§. 16. Auch Verwandlungen solcher Bauernahrungen, auf welchen Gespann gehalten werden muß in andre, wo dergleichen nicht gehalten wird, dürfen ohne besondere Genehmigung des Staats nicht vorgenommen werden.
§.17. In allen nicht besonders ausgenommenen Fällen wird der Bauerstand nach den im Staate geltenden gemeinen Rechten beurtheilt.
Zweyter Abschnitt. Von Dorfgemeinen
Rechte und Pflichten der Dorfgemeinen.
§. 18. Die Besitzer der in einem Dorfe oder in dessen Feldmark gelegenen bäuerlichen Grundstücke, machen zusammen die Dorfgemeine aus.
§.19. Dorfgemeinen haben die Rechte der öffentlichen Corporationen. (Tit. VI.)
§ 20. Nur die angesessenen Wirthe nehmen, als Mitglieder der Gemeinen, an den Berathschlagungen derselben Theil.
Rechte der einzelnen Mitglieder
§. 28. Alle Glieder der Dorfgemeinen sind zur Nutzung der Gemeingründe durch Hütung, Holzung u.s.w. berechtigt; in so fern ihnen nicht ausdrückliche Gesetze oder Verträge entgegen stehen.
Von Schulzen oder Dorfrichtern.
§. 46. Der Schulze oder Dorfrichter ist der Vorsteher der Gemeine.
§. 47. Er wird von der Gutsherrschaft ernannt, die aber dazu ein angesessenes Mitglied aus der Gemeine, so lange es darunter an einer mit den erforderlichen Eigenschaften versehenen Person nicht ermangelt, bestellen muß.
Von Schöppen und Gerichtsmännern.
§. 73. Dem Schulzen müssen von der Gerichtsobrigkeit wenigstens zwey Schöppen oder Gerichtsmänner beygeordnet, und diese sowohl, als jener dem Staate, der Herrschaft, so wie der Gemeinde, zur getreuen Besorgung ihrer Amtsangelegenheiten, in Gegenwart der letztern eidlich verpflichtet werden.
§. 76. Die Pflicht der Schöppen ist, dem Schulzen in seinen Amtsverrichtungen beyzustehen.
§. 77. In Abwesenheit oder bey Verhinderungen desselben vertreten sie seine Stelle.
Von Dorfgerichten.
§. 79. Schulze und Schöppen machen zusammen die Dorfgerichte aus.
Dritter Abschnitt. Von unterthänigen Landbewohnern, und ihrem Verhältnisse gegen ihre Herrschaften
Wer Unterthanen haben könne
§. 91. Nur die Besitzer von Rittergütern können in der Regel Unterthanen haben; und herrschaftliche Rechte über dergleichen Leute ausüben.
Wie die Unterthänigkeit entstehe.
§. 93. Kinder unterthäniger Aeltern werden derjenigen Herrschaft unterthan, welcher die Aeltern zur Zeit der Geburt unterworfen waren.
§. 94. Waren die Aeltern ungleichen Standes: so folgen, auch in Ansehung der Unterthänigkeit, eheliche Kinder dem Vater, uneheliche aber der Mutter.
§. 96. Personen weiblichen Geschlechts, welche einen unterthänigen Mann heirathen, treten in die Unterthänigkeit, zu welcher dieser verpflichtet ist.
§. 97. Wenn während der Ehe der freye Mann sich in die Unterthänigkeit begiebt: so kann die Frau, ihm dahin zu folgen, in der Regel nicht gezwungen werden.
§. 98. Vielmehr ist sie auf Trennung der Ehe, und daß der Mann für den schuldigen Theil erkannt werde anzutragen berechtigt.
Allgemeine Pflichten der Gutsherrschaften.
§. 122. Eine jede Gutsherrschaft ist schuldig, sich ihrer Unterthanen in vorkommenden Nothfällen werkthätig anzunehmen.
§. 125. Der Gutsherrschaft liegt besonders ob: für eine gute und christliche Erziehung der Kinder ihrer Unterthanen zu sorgen.
§. 130. Sind ansäßige Unterthanen, nach erlittenen harten Unglücksfällen, fremden Beystandes bedürftig: so ist die Herrschaft, sich derselben nach ihren Kräften werkthätig anzunehmen, vorzüglich verpflichtet.
§. 131. Sie muß die Unterthanen gegen wucherliche Behandlungen und Uebervortheilungen zu sichern bemüht seyn.
Allgemeine Pflichten der Unterthanen.
§. 133. Unterthanen sind ihrer Herrschaft Treue, Ehrfurcht, und Gehorsam schuldig.
Vierter Abschnitt. Von den persönlichen Pflichten und Rechten der Unterthanen
Persönliche Freyheit der Unterthanen.
§. 147. Unterthanen werden, außer der Beziehung auf das Gut, zu welchem sie geschlagen sind, in ihren Geschäften und Verhandlungen als freye Bürger des Staats angesehen.
§. 148. Es findet daher die ehemalige Leibeigenschaft, als eine Art der persönlichen Sklaverey, auch in Ansehung der unterthänigen Bewohner des platten Landes, nicht statt.
§. 149. Sie sind fähig, Eigenthum und Rechte zu erwerben, und dieselben gegen jedermann, auch gerichtlich, zu vertheidigen.
Dingliche Rechte der Herrschaft auf dieselben.
§. 150. Sie dürfen das Gut, zu welchem sie geschlagen sind, ohne Bewilligung ihrer Grundherrschaft nicht verlassen.
§. 151. Sie können aber auch von der Herrschaft, ohne das Gut, zu welchem sie gehören, nicht verkauft, vertauscht, oder sonst an einen Andern wider ihren Willen abgetreten werden.
§. 152. Wo es bisher zuläßig gewesen, daß Unterthanen, mit ihren Stellen zugleich, von einer Gutsherrschaft an die andre überlassen worden, da mag es zwar auch ferner dabey sein Bewenden haben.
§. 153. Doch darf durch eine solche Veränderung der Zustand der Unterthanen auf keinerley Weise erschwert oder verschlimmert werden.
§. 154. In Provinzen, wo eine dergleichen Veräußerung (§. 152.) bisher nicht statt gefunden hat, bleibt dieselbe auch für die Zukunft gänzlich untersagt.
§. 155. Entwichene Unterthanen kann die Herrschaft überall und zu allen Zeiten aufsuchen, und zur Rückkehr nöthigen.
Heirathen.
§. 161. Unterthanen sind bey ihrer vorhabenden Heirath die herrschaftliche Genehmigung nachzusuchen verbunden.
§. 162. Die Herrschaft aber kann ihnen die Erlaubniß ohne gesetzmäßige Ursache nicht versagen.
§. 167. Der Unterthan männlichen Geschlechts, welcher die Erlaubniß zur Heirath nachsucht, muß in der Regel, wenn es die Herrschaft verlangt, an dem Orte wo er unterthänig ist sich häuslich niederlassen.
§. 171. Kinder der Unterthanen müssen in der Regel dem Bauerstande, und dem Gewerbe der Aeltern sich widmen.
§. 172. Ohne ausdrückliche Erlaubniß der Gutsherrschaft können sie zur Erlernung eines bürgerlichen Gewerbes, oder zum Studiren nicht gelassen werden.
§. 176. Wenn ein Kind, nach dem Befunde fachkundiger Männer, zu einer Kunst oder Wissenschaft vorzüglich Talente, und die erforderlichen Hülfsmittel zu deren Erlernung besitzt, so darf ihm auch dazu die Erlaubniß nicht verweigert werden.
§. 181. Die zur Landwirtschaft erzogenen Söhne der Unterthanen können, nach zurückgelegtem Vier und zwanzigsten Jahre, angehalten werden, ledige Stellen in den Gütern, wozu sie gehören, anzunehmen.
Gesindedienste der Unterthanenkinder.
§. 185. Die Kinder aller Unterthanen, welche in fremde Dienste gehen wollen, müssen sich zuvor der Herrschaft zum Dienen anbieten.
§. 186. Dies Anbieten muß spätestens Drey Monathe vor Weihnachten, oder dem sonstigen durch Provinzialgesetze bestimmten Antrittstermine des Landgesindes geschehen.
§. 187. Die Herrschaft muß in den ersten Vierzehn Tagen dieses Vierteljahrs sich erklären, ob sie ein solches Gesinde in ihre Dienste nehmen wolle.
§. 188. Wo gewisse Gestellungstage eingeführt sind, an welchen die diensttauglichen Kinder der Unterthanen sich melden, und die Herrschaft wählen muß welche derselben sie auf das folgende Jahr in ihre Dienste nehmen wolle, hat es dabey auch noch ferner sein Bewenden.
§. 189. Verlangt die Herrschaft die Dienste eines solchen Unterthanenkindes nicht, so kann sie ihm den Erlaubnißschein zum Auswärtsdienen nicht versagen.
§. 206. Wo das Gesindedienen der Unterthanenkinder auf gewisse Jahre nicht bestimmt ist, müssen sie dasselbe auf Verlangen der Herrschaft so lange fortsetzen, bis sie Gelegenheit finden, eine Stelle anzunehmen, oder eine Heirath zu schließen, mit welcher der Gesindedienst nicht bestehen kann.
Züchtigungsrecht der Herrschaften.
§. 227. Faules, unordentliches, und widerspenstiges Gesinde, kann die Herrschaft durch mäßige Züchtigungen zu seiner Pflicht anhalten; auch dieses Recht ihren Pächtern und Wirthschaftsbeamten übertragen.
§. 228. Eine gleiche Befugniß steht der Herrschaft in Ansehung des Gesindes der Unterthanen zu, wenn dasselbe von diesen zum Hofedienste geschickt wird, und sich dabey faul, unordentlich, oder widerspenstig bezeiget.
§. 229. Bey solchen Züchtigungen aber muß nicht die Gesundheit, vielweniger das Leben des Gesindes in Gefahr gesetzt werden.
§. 232. Auch angesessene Wirthe, und deren Weiber kann die Herrschaft durch Gefängnißstrafe oder Strafarbeit zu ihrer Pflicht anhalten, wenn dieselben bey Leistung unstreitiger Dienste, sich der Widersetzlichkeit, beharrlichen Faulheit, vorsetzlichen Vernachläßigung, oder eines andern dergleichen Vergehens schuldig machen.
Fünfter Abschnitt. Von den Rechten und Pflichten der Unterthanen in Ansehung ihres Vermögens
Grundsatz.
§. 240. Unterthanen können, gleich andern Bürgern des Staats, freyes Vermögen erwerben und besitzen.
Rechte der Unterthanen auf ihre Grundstücke:
1) wenn sie Eigenthümer sind
§. 246. In der Regel, und wo das Gegentheil nach Provinzialgesetzen und Verfassungen, oder sonst nicht erhellet, sind angesessene Unterthanen als würkliche Eigenthümer ihrer Stellen und Güter anzusehn und in vorkommenden Fällen zu beurtheilen.
a) bey Verfügungen unter Lebendigen
§. 247. Sie können aber dieselben ohne herrschaftlichen Consens weder veräußern, noch durch Tausch oder andre Abtrennung einzelner unbeweglicher Pertinenzstücke schwächen
b) bey Verfügungen von Todeswegen
§ 267. Ueber sein eigenthümliches Vermögen kann ein Unterthan, gleich anderen Bürgern des Staates, auch letzwillig verfügen.
§ 268. Er kann bestimmen, welches unter mehrern Kindern sein Gut übernehmen solle.
§ 269. Auch den Preis, für welchen eines der Kinder das Gut annehmen solle, kann der unterthänige Erblasser, gleich jenen andern Vater bestimmen.
Sechster Abschnitt. Von den Diensten der Unterthanen
Wozu die Dienste geleistet werden müssen.
§. 308 Die Dienste, welche die Unterthanen ihrer Herrschaft zu leisten haben, sind eigentlich zur Bewirthschaftung und Benutzung der herrschaftlichen Grundstücke bestimmt.
Möglichste Festsetzung gemessener Dienste.
§. 314. Alle Arten der Hofedienste sollen künftig, so viel als möglich, nach Zeit, Ort, Maaß, oder Gewicht bestimmt werden.
§. 315. Bey Bestimmung der ungemessenen Dienste ist sowohl auf die Nothdurft des Guts, zu dessen Cultur die Unterthanen angesetzt sind, als auf deren eigne Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen.
Achter Abschnitt. Von der Entlassung aus der Unterthänigkeit
Allgemeine Grundsätze.
§. 495. Wer die Entlassung aus der Unterthänigkeit verlangt, muß sie bey seiner Herrschaft suchen.
§. 498. Die Herrschaft soll keinem Unterthan die Entlassung bewilligen, der nicht vorher auf eine glaubhafte Art angezeigt hat, womit er sich künftig im Lande nähren wolle.
Fälle, wo die Loslassung nicht versagt werden kann.
§. 503. Die gesuchte Entlassung kann einem noch unangesessenen Unterthan nicht versagt werden, wenn derselbe, unter ertheilter oder ergänzter Erlaubniß der Herrschaft, auf andre als herrschaftliche Kosten, eine Wissenschaft, Kunst, oder Profession erlernt hat womit er sich auf dem Lande nicht nähren kann.
§. 516. Kann der Unterthan durch Heirath zum Besitze einer von der persönlichen Unterthänigkeit freyen Stelle, von welcher er sich und eine Familie ernähren kann, gelangen, oder durch den Eintritt in eine bürgerliche Nahrung, sein Glück dauerhaft verbessern, so muß ihm die Entlassung ertheilt, und es kann ihm eine unterthänige Stelle, selbst in dem Dorfe, wohin er bisher gehört hat, nicht aufgedrungen werden.
Weiterführende Literatur
- G. Kleinheyer/J. Schröder, Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, Heidelberg 19964, Carl Gottlieb Svarez, S. 413 ff; Ernst Ferdinand Klein, S. 489 ff.
- A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Gießen 1978, Art. Allgemeines Landrecht, Sp. 99 ff.
- H. Hattenhauer, Einführung zum ALR, in: Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten, Berlin 19963, S. 1 ff.
- H. Sendler, Friedrich der Große und der Müller Arnold, JuS 1968, S: 759 ff.