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6 Strafrecht II

6. Strafrecht im 17./18. Jahrhundert

6.1 Immanuel Kant

Quellentext

aus: Immanuel Kant, Rechtslehre, Schriften zur Rechtsphilosophie, H. Klenner (Hrsg.), Berlin 1988, § 49 E I.

Richterliche Strafe (poena forensis), die von der natürlichen (poena naturalis), dadurch das Laster sich selbst bestraft und auf welche der Gesetzgeber gar nicht Rücksicht nimmt, verschieden, kann niemals bloß als Mittel ein anderes Gute zu befördern, für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn seine angeborne Persönlichkeit schützt, ob er gleich die bürgerliche einzubüßen gar wohl verurteilt werden kann. Er muß vorher strafbar befunden sein, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einigen Nutzen für ihn selbst oder seine Mitbürger zu ziehen. Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ, und, wehe dem!, welcher die Schlangenwindungen der Glücksehligkeitslehre durchkriecht, um etwas aufzufinden, was durch den Vorteil, den es verspricht, ihn von der Strafe, oder auch nur einem Grade derselben entbinde, nach dem pharisäischen Wahlspruch: "es sei besser, daß ein Mensch sterbe, als daß das ganze Volk verderbe”; denn, wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben. -Was soll man also von dem Vorschlag halten: einen Verbrecher auf den Tod das Leben zu erhalten, wenn er sich dazu verstände, an sich gefährliche Experimente machen zu lassen, und so glücklich wäre, gut durchzukommen; damit die Ärzte dadurch eine neue, dem gemeinen Wesen ersprießliche Belehrung erhielten? Ein Gerichtshof würde das medizinische Kollegium, das diesen Vorschlag täte, mit Verachtung abweisen; denn die Gerechtigkeit hört auf eine zu sein, wenn sie sich für irgendeinen Preis weggibt.

Welche Art aber und welcher Grad der Bestrafung ist es, welche die öffentliche Gerechtigkeit sich zum Prinzip und Richtmaße macht? Kein anderes als das Prinzip der Gleichheit ( im Stande des Züngleins an der Waage der Gerechtigkeit), sich nicht mehr auf die eine, als auf die andere Seite hinzuneigen. Also: was für unverschuldetes Übel du einem anderen im Volk zufügst, das tust du dir selbst an. Beschimpfst du ihn, so beschimpfst du dich selbst; bestiehlst du ihn, so bestiehlst du dich selbst; schlägst du ihn, so schlägst du dich selbst; tötest du ihn, so tötest du dich selbst. Nur das Wiedervergeltungsrecht (ius talionis), aber, wohl zu verstehen, vor den Schranken des Gerichts (nicht in deinem Privaturteil), kann die Qualität und Quantität der Strafe bestimmt angeben; alle andere sind hin und her schwankend, und können, anderer sich einmischenden Rücksichten wegen, keine Angemessenheit mit dem Spruch der reinen und strengen Gerechtigkeit enthalten. - Nun scheint es zwar, daß der Unterschied der Stände das Prinzip der Wiedervergeltung Gleiches mit Gleichem nicht gestatte; aber, wenn es gleich nicht nach dem Buchstaben möglich sein kann, so kann es doch der Wirkung nach, respektive auf die Empfindungsart der Vornehmeren, immer geltend bleiben. - So hat z. B. Geldstrafe wegen einer Verbalinjurie gar kein Verhältnis zur Beleidigung, denn, der des Geldes viel hat, kann diese sich wohl einmal zur Lust erlauben; aber die Kränkung der Ehrliebe des einen kann doch dem Wehtun des Hochmuts des anderen sehr gleich kommen: wenn dieser nicht allein öffentlich abzubitten, sondern jenem, ob er zwar niedriger ist, etwa zugleich die Hand zu küssen, durch Urteil und Recht genötigt würde. Eben so, wenn der gewalttätige Vornehme für die Schläge, die er dem niederen aber schuldlosen Staatsbürger zumißt, außer der Abbitte noch zu einem einsamen und beschwerlichen Arrest verurteilt würde, weil hiemit, außer der Ungemächlichkeit, noch die Eitelkeit des Täters schmerzhaft angegriffen, und so durch Beschämung Gleiches mit Gleichem gehörig vergolten würde. - Was heißt das aber: so bestiehlst du ihn, so bestiehlst du dich selbst ? Wer da stiehlt, macht aller anderer Eigentum unsicher; er beraubt sich also (nach dem Recht der Wiedervergeltung) der Sicherheit alles möglichen Eigentums; er hat nichts und kann auch nichts erwerben, will aber doch leben; welches nun nicht anders möglich ist, als daß ihn andere ernähren. Weil dieses aber der Staat nicht umsonst tun wird, so muß er diesem seine Kräfte zu ihm beliebigen Arbeiten (Karren- oder Zuchthausarbeit) überlassen, und kommt auf gewisse Zeit, oder, nach Befinden, auch auf immer, in den Sklavenstand. - Hat er aber gemordet so muß er sterben. Es gibt hier kein Surrogat zur Befriedigung der Gerechtigkeit. Es ist keine Gleichartigkeit zwischen einem noch so kummervollen Leben und dem Tode, also auch keine Gleichheit des Verbrechens und der Wiedervergeltung, als durch den am Täter gerichtlich vollzogenen, doch von aller Mißhandlung, welche die Menschheit in der leidenden Person zum Scheusal machen könnte, befreieten Tod. - Selbst, wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflösete (z. B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse, auseinander zu gehen, und sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat; weil es als Teilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.

Weiterführende Literatur

- Winfried Brugger, Grundlinien der Kantischen Rechtsphilosophie, JZ 1991, 893 ff.

- M. Stolleis (Hrsg.)/R. Harzer, Ein biographisches Lexikon, Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 334 ff.

- A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1971, Art. Kant, Immanuel, Sp. 593 ff.

6.2 Paul Johann Anselm von Feuerbach

Quellentext

aus: P.J.A. von Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts, hg. von K.J.A. Mittermaier, 14. Auflage Giessen 1847, Neudruck Aalen 1973, S. 36 ff.

§8. Die Vereinigung des Willens und der Kräfte Einzelner zur Garantie der wechselseitigen Freiheit Aller, begründet die bürgerliche Gesellschaft. Eine durch Unterwerfung unter einen gemeinschaftlichen Willen und durch Verfassung organisierte bürgerliche Gesellschaft, ist ein Staat. Sein Zweck ist die Errichtung des rechtlichen Zustandes, dh. das Zusammenbestehen der Menschen nach dem Gesetze des Rechts.

§9. Rechtsverletzungen jeder Art widersprechen dem Staatszwecke (§ 8), mithin ist es schlechthin nothwendig, dass im Staate keine Rechtsverletzungen geschehen. Der Staat ist berechtigt und verbunden, Anstalten zu treffen, wodurch Rechtsverletzungen überhaupt unmöglich gemacht werden.

§10. Die geforderten Anstalten des Staats müssen nothwendig Zwangsanstalten sein. Dahin gehört zunächst der physische Zwang des Staats, der auf doppelte Art Rechtsverletzungen angeht, I. zuvorkommend, indem er eine noch nicht vollendete Beleidigung verhindert, und zwar a.) durch Erzwingung einer Sicherheitsleistung zu Gunsten des Bedrohten, b.) durch unmittelbare Ueberwindung der auf Rechtsverletzung gerichteten physischen Kräfte des Beleidigers; II. der Beleidigung nachfolgend, indem er Rückerstattung oder Ersatz von dem Beleidiger erzwingt.

§11. Physischer Zwang reicht aber nicht hin zur Verhinderung der Rechtsverletzungen überhaupt. Denn der zuvorkommende Zwang ist nur möglich unter der Voraussetzung von Thatsachen, von denen der Staat entweder die Gewissheit, oder doch (wie bei dem Zwange zur Sicherheitsleistung) ihre Wahrscheinlichkeit erlangt: nachfolgender Zwang nur unter Voraussetzung solcher Rechtsverletzungen, deren Gegenstand ein ersetzliches Gut ist. Physischer Zwang ist daher nicht hinreichend a.) zum Schutze unverletzlicher Rechte, weil der hier allein mögliche, zuvorkommende Zwang von der ganz zufälligen Erkenntniss der bevorstehenden Verletzung abhängt, auch nicht b.) zum Schutze der an sich ersetzlichen Rechte, weil sie oft unersetzlich werden, weil für den zuvorkommenden Zwang jene blos zufällige Voraussetzung ebenfalls eine nothwendige Bedingung ist.

§12. Sollen daher Rechtsverletzungen überhaupt verhindert werden, muss neben dem physischen Zwange noch ein anderer bestehen, welcher der Vollendung der Rechtsverletzung vorhergeht, die, vom Staate ausgehend, in jedem einzelnen Falle in Wirklichkeit tritt, ohne dass dazu die Erkenntniss der jetzt bevorstehenden Verletzung vorausgesetzt wird. Ein solcher Zwang kann auch ein psychologischer sein.

§13. Alle Uebertretungen haben ihren psychologischen Entstehungsgrund in der Sinnlichkeit, inwiefern das Begehrungsvermögen Menschen durch die Lust an oder aus der Handlung zur Begehung derselben angetrieben wird. Dieser sinnliche Antrieb kann dadurch aufgehoben werden, dass Jeder weiss, auf seine That werde unausbleiblich ein Uebel folgen, welches grösser ist als die Unlust, die aus dem nicht befriedigten Antrieb zur That entspringt.

§14. Damit nun die allgemeine Ueberzeugung von der notwendigen Verbindung solcher Uebel mit Beleidigungen begründet werde, so muss I. ein Gesetz dieselben als nothwendige Folge der That bestimmen (gesetzliche Drohung). Und damit die Realität jenes gesetzlich bestimmten idealen Zusammenhanges in der Vorstellung Aller begründet werde, muss II. jener ursächliche Zusammenhang auch in der Wirklichkeit erscheinen, mithin, sobald die Uebertretung geschehen ist, das in dem Gesetze damit verbundene Uebel zugefügt werden (Vollstreckung, Execution). Die zusammenstimmende Wirksamkeit der vollstreckenden und der gesetzgebenden Macht zu dem Zwecke der Abschreckung begründet den psychologischen Zwang.

§15. Das von dem Staate durch ein Gesetz angedrohte, und, kraft dieses Gesetzes, zuzufügende Uebel ist die bürgerliche Strafe (poena forensis). Der allgemeine Grundsatz der Nothwendigkeit und des Daseins derselben (sowohl in dem Gesetz, als in der Ausübung desselben) ist die Nothwendigkeit der Erhaltung der wechselseitigen Freiheit Aller, durch Aufhebung des sinnlichen Antriebs zu Rechtsverletzungen.

§16. Unter Zweck der Strafe wird die Wirkung verstanden, deren Hervorbringung als Ursache des Daseins einer Strafe gedacht werden muss, wenn der Begriff von Strafe vorhanden sein soll.

I. Der Zweck der Androhung der Strafe im Gesetz ist Abschreckung Aller, als möglicher Beleidiger, von Rechtsverletzungen. II. Der Zweck der Zufügung derselben ist die Begründung der Wirksamkeit der gesetzlichen Drohung, inwiefern ohne sie diese Drohung leer (unwirksam) sein würde. Da das Gesetz aber Bürger abschrecken, die Vollstreckung aber dem Gesetze Wirkung geben soll, so ist der mittelbare Zweck (Endzweck) der Zufügung ebenfalls blosse Abschreckung der Bürger durch das Gesetz.

§17. Rechtsgrund der Strafe ist ein Grund, von welchem die rechtliche Möglichkeit der Strafe abhängt. Der Rechtsgrund I. der Androhung der Strafe ist das Zusammenbestehen derselben mit der rechtlichen Freiheit der Bedrohten, sowie die Nothwendigkeit, die Rechte Aller zu sichern, der Grund ist, welcher die Verbindlichkeit des Staats zu Strafdrohungen begründet. II. Der Rechtsgrund der Zufügung ist die vorhergegangene Drohung des Gesetzes.

§18. Die bürgerliche Strafe als solche hat daher nicht zum Zweck und Rechtsgrund I. Prävention gegen die künftigen Uebertretungen eines einzelnen Beleidigers, denn diese ist nicht Strafe und es zeigt sich kein Rechtsgrund zu solchem Zuvorkommen; II. nicht moralische Vergeltung, denn diese gehört einer sittlichen, nicht einer rechtlichen Ordnung an, und ist physisch unmöglich; nicht unmittelbarte Abschreckung Anderer durch die Schmerzen des dem Missethäter zugefügten Uebels, denn hierzu gibt es kein Recht; III. nicht moralische Besserung, denn dieses ist Zweck der Züchtigung, nicht aber der Strafe.

§19. Aus obiger Deduction ergibt sich folgendes höchste Princip des peinlichen Rechts: Jede rechtliche Strafe im Staate ist die rechtliche Folge eines durch die Nothwendigkeit der Erhaltung äusserer Rechte begründeten, und eine Rechtsverletzung mit einem sinnlichen Uebel bedrohenden Gesetzes.

§20. Hieraus fliessen folgende, keiner Ausnahme unterworfenen untergeordneten Grundsätze:

I. Jede Zufügung einer Strafe setzt ein Strafgesetz voraus. (Nulla poena sine lege.) Denn lediglich die Androhung des Uebels durch das Gesetz begründet den Begriff und die rechtliche Möglichkeit einer Strafe.

II. Die Zufügung einer Strafe ist bedingt durch das Dasein der bedrohten Handlung. (Nulla poena sine crimine.) Denn durch das Gesetz ist die gedrohte Strafe an die That als rechtlich nothwendige Voraussetzung geknüpft.

III. Die gesetzlich bedrohte That (die gesetzliche Voraussetzung) ist bedingt durch die gesetzliche Strafe. (Nullum crimen sine poena legali). Denn durch das Gesetz wird an die bestimmte Rechtsverletzung das Uebel als eine nothwendige rechtliche Folge geknüpft.

Weiterführende Literatur

- M. Stolleis (Hrsg.)/H. Mohnhaupt, Ein biographisches Lexikon, Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 200 ff.

- Art. Feuerbach, Paul Johann Anselm v., in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Berlin 1971, Sp. 1118 ff.

- W. Naucke, Paul Johann Anselm von Feuerbach, Zur 200. Wiederkehr seines Geburtstages am 14. November 1975, ZStrW 87 (1975), 861 ff.

- immer noch sehr lesbar: G.Radbruch, Paul Johann Anselm Feuerbach, Ein Juristenleben,19693 (kleine Vandenhoek Reihe, Band 305).

6.3 Georg Friedrich Wilhelm Hegel

Quellentext: Kritik der Präventionstheorien

aus: G.H.W. Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie 1818-1831, Edition und Kommentar in sechs Bänden, hg. von K.-H. Ilting, Stuttgart 1974, Bd. II: Die Rechtsphilosphie von 1820 mit Hegels Vorlesungsnotizen 1821-1825, § 98 ff.

Die Theorie der Strafe ist eine der Materien, die in der positiven Rechtswissenschaft neuerer Zeit am schlechtesten weggekommen sind, weil in dieser Theorie der Verstand nicht ausreicht, sondern es wesentlich auf den Begriff ankommt.

Wenn das Verbrechen und dessen Aufhebung, als welche sich weiterhin als Strafe bestimmt, nur als ein Uebel überhaupt betrachtet wird, so kann man es freylich als unvernünftig ansehen, ein Uebel blos deswegen zu wollen, weil schon ein anderes Uebel vorhanden ist. Dieser oberflächliche Character eines Uebels wird in den verschiedenen Theorien über die Strafe, der Verhütungs, Abschreckungs, Androhungs, Besserungs u.s.f. Theorie, als das Erste vorausgesetzt, und was dagegen herauskommen soll, ist eben so oberflächlich als ein Gutes bestimmt. Es ist aber weder blos um ein Uebel, noch um dieß oder jedes Gute zu thun, sondern es handelt sich bestimmt um Unrecht und um Gerechtigkeit. Durch jene oberflächlichen Gesichtspunkte aber wird die objective Betrachtung der Gerechtigkeit, welche der erste und substantielle Gesichtspunkt bey dem Verbrechen ist, bey Seite gestellt, und es folgt von selbst, daß der moralische Gesichtspunkt, die subjective Seite des Verbrechens vermischt mit trivialen psychologischen Vorstellungen von den Reizen und der Stärke sinnlicher Triebfedern gegen die Vernunft, von psychologischem Zwang und Einwirkung auf die Vorstellung (als ob eine solche nicht durch die Freyheit eben sowohl zu etwas nur Zufälligem herabgesetzt würde) - zum Wesentlichen wird. Die verschiedenen Rücksichten, welche zu der Strafe als Erscheinung und ihrer Beziehung auf das besondere Bewußtseyn gehören, und die Folgen auf die Vorstellung (abzuschrecken, zu bessern u.s.f.) betreffen, sind an ihrer Stelle, und zwar vornehmlich blos in Rücksicht der Modalität der Strafe, wohl von wesentlicher Betrachtung, setzen aber die Begründung voraus, daß das Strafen an und für sich gerecht sey. In dieser Erörterung kommt es allein darauf an, daß das Verbrechen, und zwar nicht als die Hervorbringung eines Uebels, sondern als Verletzung des Rechts als Rechts, aufzuheben ist, und dann; welches die Existenz ist, die das Verbrechen hat und die aufzuheben ist (sie ist das wahrhafte Uebel, das wegzuräumen ist), und worin sie liege, der wesentliche Punkt. So lange die Begriffe hierüber nicht bestimmt erkannt sind, so lange muß Verwirrung in der Ansicht der Strafe herrschen.

§ 97 Strafe als Manifestation der Nichtigkeit des Verbrechens

Die geschehene Verletzung des Rechts, als Rechts, ist zwar eine positive, äußerliche Existenz, die aber in sich nichtig ist. Die Manifestation dieser ihrer Nichtigkeit ist die ebenso in die Existenz tretende Vernichtung jener Verletzung, - die Wirklichkeit des Rechts, als seine sich mit sich durch Aufhebung seiner Verletzung vermittelnde Nothwendigkeit.

§ 100 Die Grundlage des Strafrechts

Die Verletzung, die dem Verbrecher widerfährt, ist nicht nur an sich gerecht, - als gerecht ist sie zugleich sein an sich seyender Wille, ein Daseyn seiner Freyheit, sein Recht; sondern sie ist auch ein Recht an den Verbrecher selbst, d.i. in seinem daseyenden Willen, in seiner Handlung gesetzt. Denn in seiner als eines Vernünftigen Handlung liegt, daß sie etwas Allgemeines, daß durch sie ein Gesetz aufgestellt ist, das er in ihr für sich anerkannt hat, unter welches er also, als unter sein Recht subsumirt werden darf.

"1. Die Einwilligung des Täters als Rechtsgrundlage des staatlichen Strafanspruchs”

Beccaria hat dem Staate das Recht zur Todesstrafe bekanntlich aus dem Grunde abgesprochen, weil nicht präsumirt werden könne, daß im gesellschaftlichen Vertrage die Einwilligung der Individuen, sich tödten zu lassen, enthalten sey, vielmehr das Gegentheil angenommen werden müsse. Allein der Staat ist überhaupt nicht ein Vertrag (s. § 75), noch ist der Schutz und die Sicherung des Lebens und Eigenthums der Individuen als Einzelner so unbedingt sein substantielles Wesen, vielmehr ist er das Höhere, welches dieses Leben und Eigenthum selbst auch in Anspruch nimmt und die Aufopferung desselben fordert.

"2. Das Wollen des Verbrechers in seiner Handlung als Rechtsgrundlage”

Ferner ist es nicht nur der Begriff des Verbrechens, das Vernünftige desselben an und für sich, mit oder ohne Einwilligung der Einzelnen, was der Staat geltend zu machen hat; sondern auch die formelle Vernünftigkeit, das Wollen des Einzelnen, liegt in der Handlung des Verbrechers. Daß die Strafe darin als sein eignes Recht enthaltend, angesehen wird, darin wird der Verbrecher als Vernünftiges geehrt.

"3. Die Ehre des Verbrechers in der Strafe”

Diese Ehre wird ihm nicht zu Theil, wenn aus seiner That selbst nicht der Begriff und der Maßstab seiner Strafe genommen wird; -eben so wenig auch, wenn er nur als schädliches Thier betrachtet wird, das unschädlich zu machen sey, oder in den Zwecken der Abschreckung und Besserung.

"4. Der abgeleitete Charakter des staatlichen Strafanspruchs”

Ferner in Rücksicht auf die Weise der Existenz der Gerechtigkeit ist ohnehin die Form, welche sie im Staate hat, nehmlich als Strafe, nicht die einzige Form und der Staat nicht die bedingende Voraussetzung der Gerechtigkeit an sich.

Weiterführende Literatur

- M. Stolleis (Hrsg.)/R. Harzer, Ein biographisches Lexikon, Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 275 ff.

- A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1978, Art. Hegel, Georg Friedrich Wilhelm, Sp. 30 ff.

- W. Küper, Cesare Beccaria und die kriminalpolitische Aufklärung des 18. Jahrhunderts, JuS 1968, 547 ff.

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