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1 Recht der Germanen

1. Das Recht der Germanen

1.1 Tacitus: Germania

Quellentext

nach: Publius Cornelius Tacitus: Die historischen Versuche. Agricola, Germania, Dialogus. Stuttgart 1967, S. 155-156, S. 162.

11.Über kleinere Dinge gehen die Fürsten zu Rat, über größere alle, so jedoch, daß auch das, worüber die Entscheidung beim Volke liegt, bei den Fürsten vorausbehandelt wird. Sie kommen zusammen, wenn nicht etwas Unvorhergesehenes und Plötzliches eintritt, an bestimmten Tagen, wenn der Mond beginnt oder voll wird;

... Wie es der Masse gefällt, so setzen sie sich hin, in Waffen. Schweigen wird durch die Priester geboten, die dann auch das Recht haben, zur Ordnung anzuhalten. Darauf wird der König oder der Fürst je nach dem Alter, dem Adel, dem Kriegsruhm und der Beredsamkeit angehört, mehr auf Grund der erprobten Fähigkeit zu raten als der Macht zu befehlen. Wenn die Meinung Mißfallen erregt hat, lehnen sie sie mit Gebrüll ab; hat sie gefallen, schlagen sie die Framen zusammen: mit den Waffen zu loben ist die ehrenvollste Art der Zustimmung.

12. Man kann beim Thing auch Klage führen und Gefahr für Leib und Leben anhängig machen. Die Strafen sind unterschieden nach dem Vergehen. Verräter und Überläufer hängen sie an den Bäumen auf, Feiglinge, im Krieg Versagende und körperlich Geschändete versenken sie, indem sie ein Geflecht darüber werfen, in Morast und Sumpf. Die Verschiedenheit der Todesstrafe hat den Sinn, daß man Verbrechen in der Bestrafung öffentlich zeigen müsse, Schandtaten verbergen. Aber auch für kleinere Vergehen gibt es nach ihrem Maß Strafe: mit einer Anzahl Rosse oder Vieh werden die Überführten geahndet. Ein Teil der Geldstrafe wird an den König oder Stamm, ein Teil dem, der gerächt wird, selber oder seinen Verwandten gezahlt Gewählt werden in denselben Versammlungen auch die Fürsten, die Recht in den Gauen und Dörfern sprechen.

21. Aufzunehmen auch die Feindschaften des Vaters oder eines Verwandten sowie die Freundschaften ist Notwendigkeit; sie dauern aber nicht unversöhnlich an: gesühnt wird nämlich sogar ein Totschlag mit einer bestimmten Anzahl von Rindern und Schafen, und das ganze Haus nimmt die Genugtuung an, zum Nutzen für die Öffentlichkeit, weil Feindschaften in Verbindung mit Freiheit gefährlicher sind.

Weiterführende Literatur

- H. Kinder/W. Hilgemann, dtv-Atlas zur Weltgeschichte, München 199529, Art. Germanen, S. 108 ff.

- L. Lutz (Hrsg.), Lexikon des Mittelalters, München 1989, Art. Germanen, Sp. 1338 ff.

- A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Gießen 1978, Art. Tacitus, Sp. 106 ff.

- K. Kroeschell, FS H. Thieme, Sigmaringen 1986, S. 3 ff.

1.2 Gregor von Tours: Die Fehde des Sichar

Quellentext

nach: Zehn Bücher Geschichten, 2. Band: Buch 6-10 (= Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr von Stein-Gedächtnisausgabe hg. von Rudolf Buchner, Band III) Darmstadt 1974, 7. Buch 47. Kap.; S. 153, S. 155.

47. Schwere Bruderkämpfe erhoben sich damals zwischen Bürgern des Gebiets von Tours. Sichar nämlich, der Sohn des verstorbenen Johannes, feierte das Fest der Geburt des Herrn mit Austregisil und den andern Gaugenossen in dem Dorfe Manthelan; da sandte der Priester des Orts einen Knecht aus, um einige Leute einzuladen, daß sie zum Gelage in sein Haus kämen. Da aber der Knecht kam, zog einer von denen, die eingeladen wurden, sein Schwert und scheute sich nicht nach ihm zu hauen. Der sank sogleich um und starb. Als dies Sichar, der mit dem Priester in Freundschaft lebte, hörte, daß nämlich dessen Knecht erschlagen worden sei, nahm er seine Waffen, ging zur Kirche und erwartete Austregisil. Dieser aber rüstete sich, da er solches vernahm, auch mit seinen Waffen und ging ihm entgegen. Sie gerieten alle ins Handgemenge, und während ein Teil dem anderen Schaden tat, stahl sich Sichar unter dem Schutz der Geistlichen fort und entfloh auf seinen Hof, ließ aber im Hause des Priesters sein Silber, seine Kleider und vier seiner Knechte, die verwundet waren, im Stich. Nach seiner Flucht brach Austregisil erneut ein, tötete die Knechte und nahm das Gold, Silber und die übrigen Sachen Sichars mit sich. Danach erschienen sie im Gericht der Bürger, und es wurde entschieden, daß Austregisil zu der gesetzlichen Buße zu verurteilen sei, weil er die Knechte getötet und danach die Sachen ohne richterlichen Entscheid an sich gebracht hatte; darüber war ein Vertrag zustande gekommen; als Sichar aber nach einigen Tagen hörte, daß die Sachen, die Austregisil geraubt hatte, bei Auno und seinem Sohne sowie bei seinem Bruder Eberulf aufbewahrt wurden, schob er den Vertrag beiseite, tat sich mit Audin zusammen, brach den Frieden und überfiel sie mit Bewaffneten bei Nacht; er erbrach das Haus, wo sie schliefen, tötete den Vater mit dem Sohn und dem Bruder, erschlug die Knechte und nahm alle ihre Sachen und Herden mit sich fort. .....

Erläuterungen zur Quelle

Gregor von Tours (ca. 538 bis 593) war ein Autor des frühen Mittelalters und gilt heute als verläßlich informierender Historiograph. Bei der Quelle handelt es sich um einen Auszug aus dem Werk "Decem libri historiarum”, dessen vier erste zusammenhängende Bücher wohl zwischen 573 und 575 entstanden. Das eigentliche Werk beginnt im Anschluß an ein persönliches Glaubensbekenntnis nach dem heilgeschichtlichen Schema der Universalchronistik (d. h. Erschaffung der Welt, Altes Testament, Neues Testament, bis zum Tod des hl. Martin 397). Die folgenden drei Bücher sind fast ausschließlich auf die Schilderung Galliens und auf die in diesem Raum vorherrschende politische Macht, die Franken, konzentriert. Ab dem 5. Buch erfolgt die Schilderung nach Jahren geordnet und G.v.T. stellt ausführlich die Zeitgeschichte dar. Zum Teil ist die Darstellung wohl in geringem Abstand zu den Ereignissen vorgenommen. Am Schluß des 10. Buches steht ein Überblick über die Bischöfe von Tours, eine kurze Autobiographie und in Anknüpfung an den Beginn eine Berechnung der Jahre vom Ursprung der Welt bis 593/594.

Weiterführende Literatur

- L. Lutz (Hrsg.), Lexikon des Mittelalters, München 1989, Art. Franken, Sp. 689 ff.; Art. Gregor von Tours, Sp. 1679 ff.

- A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Gießen 1978, Art. Fehde, Sp. 1083 ff.; Art. Strafrecht, Sp. 2011 ff.

- E. Kaufmann, Die Fehde des Sichar, JuS 1961, 85 ff.

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