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9 Positivmus und Rechtswissenschaft

9. Positivismus und Rechtswissenschaft

Alle Quellen aus: H. Hattenhauer/A. Buschmann (Hrsg.), Textbuch zur Privatrechtsgeschichte der Neuzeit mit Übersetzungen, München 1967, S. 256; 258-260.

9.1 Bernhard Windscheid

Quellentext: Windscheid, Subjektives Recht als Willensmacht

1. Recht auf ein gewisses Verhalten, Thun oder Unterlassen, der dem Berechtigten gegenüberstehenden Personen oder einer gegenüberstehenden Person. Die Rechtsordnung (das Recht im objectiven Sinne, das objective Recht) hat auf Grund eines concreten Thatbestandes einen Befehl zu einem Verhalten bestimmter Art erlassen und diesen Befehl demjenigen, zu Gunsten dessen sie ihn erlassen hat, zur freien Verfügung hingegeben. Sie überläßt es ihm, ob er von dem Befehl Gebrauch machen, und im Besondern ob er die ihm gegen den Widerstrebenden von der Rechtsordnung gewährten Mittel zur Anwendung bringen will, oder nicht. Demgemäß ist sein Wille maßgebend für die Durchsetzung des von der Rechtsordnung erlassenen Befehls. Die Rechtsordnung hat sich des von ihr erlassenen Befehls zu seinen Gunsten entäußert, sie hat ihren Befehl zu seinem Befehl gemacht. Das Recht ist sein Recht geworden. [...] Recht ist eine von der Rechtsordnung verliehene Willensmacht oder Willensherrschaft.

Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 7. Aufl., 1. Band, Frankfurt a.M. 1891, § 37, S. 87 f.

Quellentext: Windscheid, Wissenschaftliche Behandlung des Rechts

Die Auslegung bildet keinen Gegensatz zu der wissenschaftlichen Behandlung des Rechts, sie ist wissenschaftliche Behandlung, schon die niedere, welche den Sinn der vom Gesetzgeber gebrauchten Worte, um so mehr die höhere, welche den eigentlichen Gedanken eines Rechtssatzes oder eines Rechtsganzen bestimmt. [...] Die neuere Rechtswissenschaft hat die entschiedene Tendenz, in der Zerlegung der Begriffe möglichst weit zu gehen. Und dieß ist ihr Verdienst. Denn in der That hängt von der erschöpfenden Erfassung des Inhalts der in den Rechtssätzen enthaltenen Begriffe nicht nur das volle Verständnis des Rechts ab, sondern auch die Sicherheit seiner Anwendung. [...] Auch der eigentliche Gedanke des Rechtssatzes stellt sich noch dar in Begriffen, dh. in Zusammenfassungen von Denkelementen.

Bernhard Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 1. Aufl., 1. Band, Frankfurt a.M. 1862, § 24, S. 55 ff.

Weiterführende Literatur

- A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Gießen 1978, Art. Windscheid, Josef Hubert Bernhard, Sp. 1442 ff.

- U. Falk, Der wahre Jurist und der Jurist als solcher, Zum Gedenken an Bernhard Winscheid, RJ 1993, 598 ff.

- G. Kleinheyer/J. Schröder, Bernhard Windscheid, in: Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, Heidelberg 19964, S. 442 ff.

- J. Rückert, Bernhard Windscheid und seine Jurisprudenz "als solche” im liberalen Rechtsstaat (1817-1892), JuS 1992, 902 ff.

9.2 Rudolph von Jhering

Alle Quellen nach: H. Hattenhauer/A. Buschmann (Hrsg.), Textbuch zur Privatrechtsgeschichte der Neuzeit mit Übersetzungen, München 1967, S. 258-260.

Quellentext: Jhering, Subjektives Recht als Interesse

Zwei Momente sind es, die den Begriff des Rechts constituiren, ein substantielles, in dem der praktische Zweck desselben liegt, nämlich der Nutzen, Vortheil, Gewinn, der durch das Recht gewährleistet werden soll, und ein formales, welches sich zu jenem Zweck bloß als Mittel verhält, nämlich der Rechtsschutz, die Klage. Ersteres ist der Kern, letzteres die schützende Schale des Rechts. [...] Der Begriff des Rechts beruht auf der rechtlichen Sicherheit des Genusses, Rechte sind rechtlich geschützte Interessen.

Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 3. Aufl., Leipzig 1877, 3. Teil, 1. Abt., § 60, S. 327 f.

Quellentext: Jhering, Juristische Begriffsbildung

[Es] bedarf heutzutage wohl keiner Bemerkung, daß das System ebensowenig beim Recht wie bei jedem andern Gegenstande keine Ordnung sein soll, die man in die Sache hineinbringt, sondern eine solche, die man herausholt. Jene ist die der Sache selbst fremde Logik eines Schematismus, in den sie gewaltsam hineingepreßt wird; es ist ein Netz, das man ebensogut über dieses als über jenes Recht werden könnte; das die Auffassung der Structur des individuellen Gegenstandes mehr erschwert als erleichtert. System ist gleichbedeutend mit innerer Ordnung der Sache selbst und daher immer ganz individuell; diesem Rechte ist ein anderes System eigenthümlich als jenem. Bei dem Rechte besteht nun das Unterscheidende der systematischen Thätigkeit darin, daß dadurch nicht bloß wie bei jeder andern Wissenschaft das einzelne an seine richtige Stelle gebracht wird, sondern daß dieser formale Prozeß eine materielle Rückwirkung auf den Stoff ausübt, daß durch diese Procedur mit den Rechtssätzen eine innere Umwandlung vor sich geht. Die Rechtssätze treten gewissermaßen in einen höhern Aggregatzustand, sie streifen ihre Form als Gebote und Verbote ab und gestalten sich zu Elementen und Qualitäten der Rechtsinstitute.

Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 2. Aufl., Leipzig 1866, 1. Teil, § 3, S. 36 f.

Quellentext: Jhering, Der Kampf ums Recht

aus: Jhering, Kampf ums Recht, hg. von Hermann Klenner, Freiburg-Berlin 1991, S. 8, 15.

[2] Alles Recht in der Welt ist erstritten worden, jeder Rechtssatz, der da galt, hat erst denen, die sich ihm widersetzten, abgerungen werden müssen, und jedes Recht, das Recht eines Volkes wie das eines einzelnen, setzt die stetige Bereitschaft zu seiner Behauptung voraus.

[9] Alle großen Errungenschaften, welche die Geschichte des Rechts zu registrieren hat: die Aufhebung der Sklaverei, der Leibeigenschaft, die Freiheit des Grundeigentums, der Gewerbe, des Glaubens u.a.m., sie alle haben erst auf diesem Wege des heftigsten, oft Jahrhunderte lang fortgesetzten Kampfes gewonnen werden müssen, und nicht selten bezeichnen Ströme Bluts, überall aber zertretene Rechte den Weg, den das Recht seine eigenen Kinder verspeist; das Recht kann sich nur dadurch verjüngen, daß es mit seiner [10] eigenen Vergangenheit aufräumt...

Weiterführende Literatur

- G. Kleinheyer/J. Schröder, Rudolf von Jhering, in: Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, Heidelberg 19964, S. 220 ff.

- U. Falk, Rudolph von Jhering, in: M. Stolleis (Hrsg.), Juristen, Ein biographisches Lexikon, München 1995, S. 325 ff.

- M. Kunze, Jherings Jubiläum, in: M. Stolleis u.a. (Hrsg.), Die Bedeutung der Wörter, FS S. Gagnér, 1991, S. 1-13.

9.3 Spruchpraxis im Reich: Definition des Begriffs der Eisenbahn

"Ein Unternehmen, gerichtet auf wiederholte Fortbewegung von Personen oder Sachen über nicht ganz unbedeutende Raumstrecken auf metallener Grundlage, welche durch ihre Konsistenz, Konstruktion und Glätte den Transport großer Gewichtmassen, bzw. die Erzielung einer verhältnismäßig bedeutenden Schnelligkeit der Transportbewegung zu ermöglichen bestimmt ist, und durch diese Eigenart in Verbindung mit den außerdem zur Erzeugung der Transportbewegung benutzten Naturkräften (Dampf, Electrizität, thierischer oder menschlicher Muskeltätigkeit, bei geneigter Ebene der Bahn auch schon der eigenen Schwere der Transportgefäße und deren Ladung, u.s.w.) bei dem Betriebe des Unternehmens auf derselben eine verhältnismäßig gewaltige (je nach den Umständen nur in bezweckter Weise nützliche, oder auch Menschenleben vernichtende und die menschliche Gesundheit verletzende) Wirkung zu erzeugen fähig ist.”

RGZ 1, S. 251 f. (1880).

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