Juristische Freizeitlektüre
Juristische Freizeitlektüre – gibt es so etwas überhaupt? Selbstverständlich, und zwar auf höchstem Niveau und meist auch noch von namhaften Juristen verfasst. Natürlich geht es dabei nicht um Subsumtions- oder Aufbaufragen, sondern um die Welt des Rechts überhaupt. In den Grundlagenfächern werden Ihnen die Kenntnisse vermittelt, die Voraussetzung für den Zugang zu dieser Art von Literatur sind. Und Sie werden hier nicht etwa davon abgehalten, Ihre Zeit „an so etwas“ zu hängen, sondern geradezu ermuntert, Ihr Freizeitvergnügen hier zu suchen. Denn es geht um Werke, die für niemand sonst als für Sie geschrieben sind, zur Belehrung und Erbauung von Juristen nämlich, denen das Recht eine Herzenssache ist.
Hier nur eine kleine Auswahl:
Di Fabio, Udo: Die Kultur der Freiheit, 2005, 295 S.
Der Bundesverfassungsrichter Di Fabio moniert das Verschwinden von Konzepten, die privates Lebensglück mit dem verknüpfen, was im Interesse des Gemeinwesens geboten ist. Solche Konzepte sind aber die Voraussetzung dafür, daß eine Gesellschaft der Freiheit, die nicht durch Rechtsnorm allein gewährleistet werden kann, auf Dauer bestehen kann. Laut Vorwort unternimmt Di Fabio in diesem Buch den Versuch, „die Ideen der Freiheit, der Gleichheit und der Brüderlichkeit aus ihren üblichen philosophischen, rechtlichen oder politikwissenschaftlichen Spezialdiskursen zu lösen und sie mit dem Thema der kulturellen Richtung einer Gesellschaft zu verbinden. Das meiste davon betrifft die westliche Kultur insgesamt, einiges den Dialog der Weltkulturen untereinander und vieles den Zustand speziell der deutschen Gesellschaft und ihre Probleme, sich als eine politisch und rechtlich definierte, weltoffene Kulturgemeinschaft zu verstehen.“
Dworkin, Ronald: Law’s Empire, Harvard University Press, Tenth Printing 1997
„Law’s Empire“ ist das ungemein anschaulich und verständlich geschriebene Hauptwerk eines der meistdiskutierten amerikanischen Rechtstheoretiker. In der Sache handelt es sich dabei um eine Methodenlehre in Verbindung mit einer Gesamtschau des Rechts, die sich geradezu zu einem juristischen Weltbild verdichtet. Ein Augenöffner für alle, die meinen, es komme bei der Rechtsanwendung auf den „Willen des Gesetzgebers“ an. Wenn das Buch nicht von einem Amerikaner wäre, würde man sagen: ein populäres Spitzenprodukt aus der besten Schule deutscher Geisteswissenschaft. Spannend, bildend, witzig – und ungemein nützlich auch für den Umgang mit deutschem Recht.
Forsthoff, Ernst: Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1971, 169 S.
Ein schmales, aber inhaltlich gewichtiges Bändchen, in dem der berühmte Verwaltungsrechtslehrer Forsthoff einen erfahrungsgesättigten Blick auf den modernen Staat wirft. Seine weit vorausweisende These: Der Staat ist in einem Funktionswandel begriffen. Motor der Entwicklung ist nicht mehr der Ausbau des Sozialstaates, sondern der technische Fortschritt. Ob der Staat noch die Kraft hat, den daraus resultierenden Gefährdungen des Einzelnen zu begegnen, ist eine offene Frage.
Gans, Eduard: Naturrecht und Universalrechtsgeschichte. Vorlesungen nach G.W.F. Hegel (hrsg. von Johann Braun), 2005, 417 S.
Die Rechtsphilosophie Hegels hat zahllose Juristen bis hin zur Gegenwart nachdrücklich beeinflußt. Hegel selbst freilich ist für heutige Leser außerordentlich schwer zugänglich. Seine Berliner Zeitgenossen hatten es leichter. Für sie brachte der Jurist Eduard Gans Hegels politische Philosophie in popularisierter Form unter die Leute. Das Buch enthält eine aus sechs Kollegmitschriften erstellte Rekonstruktion der Vorlesung „Naturrecht und Universalrechtsgeschichte“, die Gans im Auftrag Hegels von 1827/28 bis 1838/39 regelmäßig gehalten hat. Im Grunde geht es dabei um eine philosophisch konzipierte Einführung in die damalige Rechtswissenschaft, der die heutige Rechtswissenschaft nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hat. Wer Hegels Rechtsphilosophie verstehen will, bekommt hier den „fremdenfreundlichsten“ Führer an die Hand, den man sich wünschen kann.
Jhering, Rudolf von: Scherz und Ernst in der Juristenprudenz. Eine Weihnachtsgabe für das juristische Publikum, 13. Aufl. 1924 (Nachdruck 1992), 428 S.
„Ridendo dicere verum“ – lachend die Wahrheit sagen – ist das Motto dieses Klassikers aus der Feder eines der ganz Großen unserer Wissenschaft. Hervorgegangen aus den von 1860 – 1866 zunächst anonym veröffentlichten „Vertraulichen Briefen über die heutige Jurisprudenz“, enthält die Schrift eine satirische Abrechnung mit der Begriffsjurisprudenz, die von Jhering zunächst selbst auf die Spitze getrieben worden war. In „Scherz und Ernst“ verweist er sie in den juristischen Begriffshimmel, wo sich auch so nützliche Geräte wie eine juristische Haarspaltemaschine, eine juristische Kletterstange, ein Fiktionsapparat, ein Konstruktionsapparat und eine Interpretationspresse befinden. In allen Teilen unübertroffen, in manchen noch immer beherzigenswert.
Seagle, William: Weltgeschichte des Rechts. Eine Einführung in die Probleme und Erscheinungsformen des Rechts, 3. Aufl. 1967, 601 S.
Ein faszinierendes Buch aus der Feder eines amerikanischen Anwalts und langjährigen Redakteurs der Encyclopaedia of the Social Sciences. Keine Universalrechtsgeschichte, in der nacheinander die großen Rechtssysteme der Vergangenheit in trockenem Gelehrtenstil abgehandelt werden, sondern eine all diese Systeme übergreifende historische Typologie, in der die charakteristischen Strukturen des archaischen, des primitiven und des gereiften Rechts bis hin zur Moderne in grandioser Zusammenschau auf den Begriff gebracht werden. Horizonterweiterungswissenschaft im besten Sinn des Wortes und außerdem ein Lesevergnügen ersten Ranges!
Übrigens: wer etwas für seine Sprachausbildung tun will, kann das Werk auch auf Englisch lesen: The Quest for Law, New York 1941, 439 S. (Reprint 1999) bzw. The History of Law, 1946, 439 S.
Wesel, Uwe: Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart, 3. Aufl. 2006, 651 S.
Vom Recht der Sammler und Jäger bis zum Recht der Europäischen Union – geht das überhaupt in einen Kopf hinein? In Form eines Ameisenhaufens für Rechtsgelehrte wahrscheinlich nicht. Aber Uwe Wesels Rechtsgeschichte ist etwas ganz anderes: nämlich locker und lebendig erzählte Geschichte zum Anfassen, eine durchgehend mit interessanten Texten und Beispielen angereicherte Darstellung, die den Leser gleichsam mitten in das Geschehen hineinstellt und das scheinbar Fremde überaus nah erscheinen läßt. Liest sich wie Karl May und ist bestens geeignet, um historische Schwellenängste an einem verlängerten Wochenende zu überwinden.