Passauer Vis Moot Team 2009/10
Im September 2009 trafen wir, Peter Körlings, Jörg Schöpper, Sonia Aichele und Anja Kloß, uns zum ersten Mal als Team mit Folko Moroni, einem unserer Coaches, und richteten unser Moot Court Büro im Juridicum ein, in dem wir in den folgenden Monaten unzählige Stunden verbringen sollten. Was genau auf uns zukommen würde, war uns – trotz Infoveranstaltung und Internetrecherche – zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz bewusst.
Das sollte sich aber bald ändern: Mitte September nahmen wir als Team an der III. Düsseldorf International Arbitration School teil. Fünf Tage lang bekamen wir in Vorträgen von renommierten Praktikern und bei Podiumsdiskussionen erste Einblicke in die Themengebiete, die uns das nächste Semester beschäftigen würden. Jeder Tag stand unter einem anderen Thema, sodass wir am Ende der Veranstaltung einen Überblick sowohl über die Grundprinzipien der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit als auch das UN-Kaufrecht, als das dem Moot Court zugrunde liegende materielle Recht, hatten. Wir setzten uns mit den maßgeblichen Normen und Regeln auseinander, konnten uns eine Vorstellung davon machen, wie ein Schiedsverfahren ausgestaltet ist und erfuhren, worauf wir bei der Ausarbeitung unserer Schriftsätze und Plädoyers achten mussten.
Im Verlauf der Arbitration School und während der Abendveranstaltungen in Düsseldorf bekamen wir auch einen ersten Eindruck von der Moot Atmosphäre und knüpften Kontakte zu anderen Teams, die wir im Verlauf der Vorbereitungsphase und natürlich in Wien immer wieder trafen.
Zurück in Passau hatten wir die Gelegenheit, unsere neu erworbenen Kenntnisse in einem einwöchigen Blockseminar mit unserem zweiten Coach, Roger Fabry, zu vertiefen. Schon in Düsseldorf hatten wir uns im Rahmen der Vorträge auf Englisch als "Arbeitssprache" des Moots eingestellt und in den ersten richtigen Teamsitzungen und beim Einarbeiten in neue Themengebiete gewöhnten wir uns schnell an diesen Unterschied zum normalen Studienalltag.
Am 3. Oktober fuhren wir zum Vis Day zu Shearman & Sterling nach Frankfurt, wo wir einige weitere Vertiefungsvorträge hörten und wieder mit Teams aus ganz Deutschland zusammentrafen.
Am Abend desselben Tages wurde endlich der knapp 50-seitige Sachverhalt veröffentlicht, auf den wir schon gespannt gewartet hatten und mit dem wir uns in den nächsten Monaten beschäftigen sollten. Schnell hatten wir uns einen Überblick über das Problem des diesjährigen Moots verschafft: Die Klägerin, ein international tätiges Ingenieursunternehmen hatte bei der Beklagten, einem Pumpenhersteller, eine große Zahl Pumpen für ein Bewässerungsprojekt im Ausland gekauft. Diese sollten per Schiff in das Bestimmungsland geliefert werden. Verschärft wurde die Situation durch die instabile politische Lage und diverse Verordnungsänderungen zum Gesundheitsschutz in diesem Land, die für beide Parteien weitreichende Konsequenzen haben sollten.
Nachdem wir die Möglichkeit hatten, klarstellende Fragen zum Sachverhalt zu stellen, machten wir uns daran, den Kläger-Schriftsatz zu erstellen. Wir erarbeiteten Argumente für die Position unserer fiktiven Mandantin und merkten dabei, wie viel Arbeit hinter so einem 35-seitigen Dokument steckt: Etwa acht Wochen recherchierten wir, wälzten Bücher, diskutierten, schrieben, verwarfen, änderten, korrigierten und komprimierten und so nahm unser Memorandum vom ersten Brainstorming über zahlreiche Skizzen und Entwürfe immer mehr Gestalt an, bis wir schließlich nach vielen Nachtschichten und einem letzten Kraftakt am Abgabetag, dem 3. Dezember, unsere gesammelten Ideen zu Papier gebracht und nach Wien gesendet hatten.
Eine Woche später erhielten wir den Schriftsatz der Chinese University Hong Kong, die uns als Klagegegner zugewiesen worden war, während unser Klägerschriftsatz an das Team der University of Toledo (Ohio) geschickt wurde.
Ungefähr sechs Wochen lang widerlegten wir die Argumente des Teams aus Hong Kong und erarbeiteten den Schriftsatz für die Beklagte. Dieser "Seitenwechsel" bedeutete, nun die völlig entgegengesetzte Position zu allen Streitpunkten zu vertreten und zu belegen. Die Arbeit am zweiten Memorandum ging uns jedoch schon um einiges leichter von der Hand, und so stellten wir unseren zweiten Schriftsatz am 21. Januar fertig und konnten ihn pünktlich vor der Deadline um Mitternacht einreichen.
Mit der Abgabe des zweiten Memorandums war die Schriftsatzphase des Moot Courts abgeschlossen und die Vorbereitung der mündlichen Verhandlungen konnte beginnen.
Wir erhielten nun auch die Schriftsätze der anderen Teams, gegen die wir in Wien antreten würden. Neben den Teams aus Hong Kong und Ohio waren dies das Team der französischen EDHEC Business School, sowie das Team der School of Indian Legal Thought der Mahatma Gandhi University.
In den kommenden Wochen beschäftigten wir uns mit der Argumentation unserer "Gegner", widerlegten diese und erstellten unsere Plädoyers.
Nach einigen Probeverhandlungen innerhalb des Teams im vertrauten Umfeld der Uni stellten wir uns im Februar bei einem Probepleading bei Linklaters in München zum ersten Mal einem externen Schiedstribunal. Hier konnten wir unsere Argumente und rhetorischen Fähigkeiten austesten und mit Hilfe des Feedbacks und der konstruktiven Kritik der Praktiker verbessern. Der nachfolgende Empfang bot Gelegenheit, mit den Anwälten ins Gespräch zu kommen und einen Einblick in die Tätigkeit in einer Großkanzlei zu bekommen.
In den nächsten Wochen erwarteten uns neben unseren "Trockenübungen" in Passau noch einige weitere Probeverhandlungen in diversen Großkanzleien in München und Frankfurt (Kirkland and Ellis, Hengeler Müller, Allen Overy), sowie an den Universitäten in Erlangen und Salzburg, bei denen wir auf Teams aus ganz Deutschland und Österreich trafen.
Ein Highlight während der Vorbereitungsphase für die mündlichen Verhandlungen war sicherlich die Teilnahme am Pre-Moot in Prag. Ein Wochenende lang verhandelten wir in der goldenen Stadt gegen Teams aus Tschechien, der Schweiz, Belgien, Frankreich, Polen und Deutschland und bekamen durch die internationale Atmosphäre einen Vorgeschmack auf das, was uns schon wenige Wochen später in Wien erwarten würde.
Am 25. März war es dann soweit: Wir fuhren nach Wien, wo wir auf die 253 Teams aus 62 Ländern weltweit trafen, die am diesjährigen Moot Court teilnahmen.
Im Wiener Juridicum und den Räumlichkeiten von Wiener Kanzleien traten wir in den General Rounds gegen unsere Gegner aus Hong Kong, USA, Frankreich und Indien an, die wir bisher nur aus ihren Schriftsätzen kannten. In Zweierteams trugen wir die Plädoyers für unsere Partei vor, antworteten auf und widerlegten die Argumentation unserer jeweiligen Gegner und stellten uns den Fragen der Schiedsrichter.
Während der ganzen Woche in Wien wurde ein umfangreiches Rahmenprogramm aus Empfängen, Stadtführungen, Club- und Discoabenden geboten, bei dem sich viele Möglichkeiten ergaben, Kontakte mit den Teilnehmern, Schiedsrichtern und Praktikern aus aller Welt zu knüpfen.
Die Woche verging wie im Flug und so fanden wir uns schon bald beim feierlichen Awards Banquet wieder, bei dem nach der Finalverhandlung zwischen den Teams aus Ottawa und vom King's College London die Preise für das beste Team, die besten Schriftsätze und die besten Einzelredner verliehen wurden.
Auch wenn wir nicht unter die besten 64 Teams gekommen waren, können wir auf spannende Verhandlungen zurückblicken und haben gutes Feedback sowohl für unsere Schriftsätze als auch für die Plädoyers bekommen.
Alles in Allem war der Moot Court eine sehr arbeitsreiche, intensive und spannende Zeit, von der wir sehr profitiert haben und die uns definitiv im Gedächtnis bleiben wird. Wir konnten erste Praxiserfahrungen sammeln, Einblicke in bisher neue Rechtsgebiete gewinnen und unsere juristischen Fähigkeiten ausbauen– auf jeden Fall eine Bereicherung zum "normalen" Jurastudium!
Sonia Aichele und Anja Kloß, Mai 2010